Mit Culture Cuts widmet die Kunsthalle Düsseldorf dem Konzeptkünstler Cody Choi (* 1961, Seoul, Südkorea) erstmals weltweit eine Retrospektive. Chois Arbeitsweise ist von Zivilisationskritik geprägt, die in vielfältigen Medien wie Malerei, Skulptur, Installation, Tusche, Computermalerei und Neonschriften zu einem Dialog der Kulturen beiträgt.
Aufgewachsen in Seoul, muss die Familie 1983 aus Südkorea in die USA fliehen. Cody Choi zieht nach einem kurzen Studium der Soziologie in Seoul nach Los Angeles und beginnt 1985, Kunst zu studieren. Dort freundet er sich mit seinem Mentor, dem Künstler Mike Kelley an, der sein Interesse für postkoloniale Theorien und die Differenz der Kulturen weckt. Beide verbindet das Thema kollektiver Ängste und Begehren, zumeist aus religiösen, sozialen oder sexuellen Prägungen ableitbar. Es entstehen die ersten körperbezogenen Skulpturen und Konzept-Arbeiten. Im Mittelpunkt steht die Suche nach Identität in einer fremden Kultur.
Mitte der 1990er Jahre lebt Cody Choi in New York und nimmt eine entscheidende Rolle in der internationalen Kunstszene ein. Vor allem seine 1996 bei dem Galeristen Jeffrey Deitch gezeigten pinkfarbenen „Denker“, entstanden aus Toilettenpapier und Bepto-Bismol (einer magen-beruhigenden amerikanischen Volksmedizin) machen ihn bekannt. In Beziehungen zu Michelangelo, Auguste Rodin, Marcel Duchamp oder Gerhard Richter übernimmt Choi westliche Kunstwerke und damit bereits formulierte Haltungen, um sie im Sinne der Appropriation Art neu zu definieren. Er verhandelt sowohl philosophische als auch ästhetische Themen und Klischees, immer wieder geht es um körperbezogene, skulpturale Energiespeicher und Metabolismus (Stoffwechsel). Er thematisiert die Conditio humana, das Menschsein in einer fremdbestimmten und oberflächlichen Umgebung, indem er das gelebte Östliche seiner Herkunft mit dem Fantastischen des amerikanischen Traums in eine subjektive Beziehung setzt. Cody Choi: „Trotz unzähliger Kulturaustäusche kennen wir uns nur, aber verstehen uns nicht. Es ist so, als essen wir Nahrung, aber verdauen sie nicht.“ (1997)
In einem datenbasierten Stoffwechselprozess nutzt Choi 1999 das Malprogramm seines Sohnes, um digitale Gemälde von Tieren als 3-D-Computerbilder zu generieren, wie mystische Totems, wie eine irreale Fortführung (s)einer Zukunft: die seines Sohnes als realer Mensch und die der digitalen Neuerschaffung von Welten, von virtuellen Realitäten aus Pixeln.
Seit 2004 lebt Cody Choi wieder in Seoul, wo er als Professor lehrt. In einem Dialog von Bild und Sprache wie in den Tuschemalereien und Neonschriften analysiert und ironisiert er neue Bedeutungen gegenüber einem fragwürdigen, kapitalistischen Wertesystem. Als „Asiate“ in den USA und als „Amerikaner“ zurück in seiner Heimat behandeln seine Arbeiten vielfältige Problemfelder kultureller Sozialisation und Assimilation. Der Künstler thematisiert die medial und kulturell produzierten Konflikte zwischen Ost und West sowie die seiner Meinung nach schonungslose Verwestlichung Asiens.
REIHE AUSSTELLUNGSREZENSIONEN AUF KUNSTDUESSELDORF.DE
REAL HUMANS in der KUNSTHALLE DÜSSELDORF
von Marianne Hoffmann
Ein Schwarm von Reihern, eine Insel mit Pflanzen, eine bewaffnete Computerspielfigur, ein Dinosaurier, ein Motorboot, Steine und Staub befinden sich in einem permanenten Wandel, indem sie aneinanderstoßen, sich vermengen, um die eigene Achse drehen und größer werden. Mit “Thousand Islands Thousand Laws” lässt sich Ian Cheng mit dem Betrachter in eine Welt ein, die sich nicht als Einheit erfassen lässt. Es ist ein animierter Film, in dem es keine Sicherheiten gibt außer, dass Leben eine ständige Veränderung ist.
Ian Cheng ist einer von drei Künstlern, die in der Kunsthalle Düsseldorf ein schwieriges Gebiet der Kunstvermittlung mit neuen Inhalten füllen. Unter dem Oberbegriff “Real Humans” zeigen, neben Ian Cheng, Wu Tsang und Jordan Wolfsons Werke, die auf unterschiedliche Weise Bedingungen des Menschseins reflektieren. Alle drei untersuchen in unterschiedlichen Vorgehensweisen und mit unterschiedlichen Verfahrensweisen die sozio-kulturellen, biologischen, ökonomischen und psychologischen Strukturen, in die der Mensch ihrer Meinung nach eingebunden ist. Jeder der drei Künstler hat in der Düsseldorfer Kunsthalle seinen eigenen Raum bekommen. Das ist insofern von Bedeutung, als man sich unbedingt die verschiedenen Ergebnisse in diesen auch architektonisch unterschiedlichen Räumen ansehen soll und muss.
Ian Cheng, der zum ersten Mal in Deutschland ausstellt, studierte zunächst Kognitionswissenschaften in Kalifornien, bevor er sich in New York als Künstler niederließ. Er spezialisierte sich im Genre Film und Video auf speziell hergestellte Echtheitssimulationen. Es ist ein besonderes Verfahren zur Herstellung von potentiell endlosen und unvorhersehbaren Animationen. Ein Zufallsgenerator entscheidet in seinem Video, wie die Figuren zu agieren haben. Chating Roboter sind die Stimmengeber in „Baby ft.Nicoya“ aus 2014. Eigentlich wurden Chatbots als eine Art Dienstleister eingesetzt, die menschliche Gesprächspartner imitieren können. Ihre menschlichen Stimmen und Ansagen werden übereinander gespielt, sodass nur noch streckenweise bzw. häppchenweise zu identifizieren ist, was gesprochen wird. Die einzige Konstante in Ian Chengs „Thousand Islands Thousand Laws“ ist die Veränderung. Leben ist Mutation ist Simulation. Ganz anders geht er in einem großen „Spruchbild“ vor. Man liest zunächst „ohm y god“ und assoziiert nach längerem Nachdenken dann doch noch, dass dort eigentlich „oh my god“ steht. Das ganze Spruchbild wird zum Buchstabenbild, die rote Farbe erinnert an Blut und an Morddrohungen, die verwaschen an einer Hauswand stehen. Man kennt das aus Krimis und ist schnell gelangweilt, denn die Videos um dieses Banner herum lenken den Blick auf bewegte Bilder, und was will der Mensch heute anderes? Besonders poetisch umgesetzt ist dies in der Arbeit „Something Thinking of You“ aus 2015. In einer freien Adaption der Abhandlung „Der Ursprung des Bewusstseins durch den Zusammenbruch der bikameralen Psyche“ des Psychologen Julian Jaymes (1978) entwirft Ian Cheng ein filmisches Experiment der Erforschung der Grenzen des Verstandes. In seinem Film lässt Cheng Organismen eine Wanderung ins Ungewisse unternehmen. Diese dunklen Organismen huschen durchs Bild, das anmutet als läge eine verschneite Landschaft zugrunde. Ein sich niemals wiederholender Handlungsverlauf hält den Betrachter an den Bildsequenzen fest.
Wu Tsangs Interesse gilt unterschiedlichen Formen von Identitätskonstruktionen und damit verbundenen Fragen von Diskriminierung und Zugehörigkeit. Sein großes Anliegen sind die alltäglichen Erlebnisse von Menschen, die aufgrund ihrer Sexualität, sozialen Klasse oder ethnischen Herkunft diskriminiert werden. Durch die von ihm entwickelte Methode der „Full body quotation“, dem sogenannten Ganzkörperzitat, schafft Tsang einen Verfremdungseffekt, der Spannungen im Film erzeugt und Wahrnehmung verändert. Seine Werke im Stile des magischen Realismus haben Preise gewonnen, so zum Beispiel der Film „Wildness“, der aus 2012 stammt und in Düsseldorf gezeigt wird, außerdem kommt es zur Uraufführung seiner neuesten Arbeiten „The Looks“ aus 2015. „Wildness“, sein preisgekrönter Spielfilm, kreist um die Bar Silver Platter in L.A.. Dort hat die LGBT-Gemeinschaft (Lesbisch, Homosexuell, Bisexuell, Transgender) seit 1963 ihr Zuhause. Gemeinsam mit Freunden organisiert Tsang dort die experimentelle Performance-Kunst-Party „Wildness“, mit dem Ergebnis, dass ein neues Publikum in diese eingeschworene Bargemeinschaft eindrang, was zwangsläufig zu Problemen führen musste. Doch die zunehmende Popularität dieser Bar und ihrer eingeschworenen Gemeinschaft führte auch zu mehr Wahrnehmung und Offenheit gegenüber Ausgegrenzten. Eine Bar spielt sich selbst, ein ungewöhnlicher und immer noch brandaktueller Film. In seinem neuen Film „The Looks“ spielt die Performerin „Boychild“ die Hauptrolle. Sie zeigt, wie eine zukünftige Gesellschaft von Avataren überwacht wird, den sogenannten Looks. Dabei sind die Looks künstliche intelligente Frequenzen, die den sozialen Austausch der Menschen über soziale Medien überwachen. Das Material zu diesem Film entstammt einer Performance von Boychild, die im Stadelijk Museum in Amsterdam stattgefunden hat. Es sind das phantastische Bling-Bling Kostüm der Künstlerin, ihr mit Pailletten überzogener Kopf, die Anmut der Bewegungen, das scheinbar Zerrissene im Zelluloid, das keines ist, die den Betrachter in den Bann ziehen.
Sein Spiel mit Mythen und Bedeutungen der kapitalistischen Welt, seine aufgeladenen Assemblagen aus verschiedenen Materialien der Popkultur, macht Jordan Wolfson auf eindrucksvolle Weise zu einer Welt voller zerrissener Individuen, die zwischen der Sehnsucht nach Zugehörigkeit und Intimität und einem Bedürfnis nach Abgrenzung und Einzigartigkeit schwanken. In „Raspberry Poser“ werden Welten gekonnt gemischt und umcodiert. Dabei ist das Wort Raspberry schon im Englischen doppeldeutig: es bedeutet sowohl Himbeere als auch Schnauben. Zu seinen Filmen zeigt Wolfson eine Reihe von unbetitelten Skulpturen, in denen collagierte Bildarrangements in vom Künstler selbst angefertigten Aluminiumrahmen gefasst sind. Dabei spielen Bumper Sticker eine große Rolle. Das sind Aufkleber, die von Unternehmen zur Werbung oder auch von Privatpersonen zur Markierung einer bestimmten Zugehörigkeit, zum Beispiel auf Autos, angebracht werden. Zitate der Popkultur ergänzen diese Bilder, die der Künstler Skulpturen nennt. Das gleiche gilt auch für Tintenstrahldrucke aus dem Bereich Comic mit der Hand des Künstlers im Bild.
Der schwächste Teil der Real Human Ausstellung, aber das liegt wie immer im Auge des Betrachters. Alle drei Künstler (!) sind Jahrgang 80 bzw. zu Beginn der 80er geboren. Die beiden Kuratorinnen sind jünger. Es scheint, dass mit „Real Humans“ ein Dialog der jüngeren Generation stattfindet, der vielleicht auf der bei „arte“ gezeigten gleichnamigen Serie „Real Humans“ eine Basis findet. Das Besondere bei der Arte Serie ist, dass sie im Land der Krimis in Schweden spielt. Die Hubots (Abkürzung für Human Robots), erledigen Aufgaben, die für gewöhnliche Maschinen zu schwer sind, und sind so unabkömmlich im Alltag der Menschen geworden. Diese aus dem Jahre 2012 stammende Serie hat viele Anknüpfungspunkte in Düsseldorf oder umgekehrt. Es ist eine Ausstellung, die viel Angst zeigt und Probleme unseres Menschseins in eine neue Sprache transferiert. Nicht immer verständlich, aber immer sehenswert.
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Weitere Informationen zu dieser Ausstellung finden Sie hier. Die Ausstellung geht noch bis zum 19. April.
Was ist ein „wahrer“ Mensch? Was zeichnet ihn biologisch und sozio-kulturell aus? Was macht ihn unterscheidbar von anderen Wesen? Wie souverän ist der Mensch und welche Kräfte bestimmen sein Handeln, Denken und Selbstverständnis? Die Geschichte hat gezeigt wie wandel- und veränderbar die menschliche Spezies und unsere Vorstellungen vom Mensch-Sein sind. In den letzten Jahren hat die Frage nach dem „wahren“ Menschen insbesondere aufgrund der zunehmenden Digitalisierung aller Lebensbereiche wieder an Brisanz gewonnen. Was wir als menschlich betrachten, ist eine normative Konvention die jedoch alles andere als statisch ist. Die Ein- und Ausschlüsse die dadurch produziert werden, sind ebenso wandelbar wie die Grundannahmen auf denen die Normen beruhen.
Unter dem Titel Real Humans vereint die Ausstellung Werke der drei US-amerikanischen Künstler Ian Cheng, Wu Tsang und Jordan Wolfson, die in ihren multimedialen Arbeiten auf unterschiedliche Weise Bedingungen des Mensch-Sein reflektieren. Während Ian Cheng mit Hilfe von computergenerierten Simulationen Welten schafft, in denen der Mensch durch kognitive Mutationen sein und das Leben seiner Umwelt verändert, thematisiert Wu Tsang in seinen Filmen und Performances Formen von Gemeinschaftsbildung und damit verbundene Fragen von Repression und Diskriminierung. Jordan Wolfson wiederum legt die Dynamik von psychologischen Identitätsprozessen innerhalb einer kapitalistischen (Bild-)Welt offen.
Im Mittelpunkt von Ian Chengs (*1984, USA) bisherigem Schaffen steht die Entwicklung von Echtzeitsimulationen – ein digitales Verfahren zur Herstellung von potentiell endlosen und unvorhersehbaren Animationen. Die Verhaltensweisen der Figuren und ihre Verhältnisse untereinander sind zwar programmiert, jedoch nicht der tatsächliche Verlauf ihrer Interaktion. Dieser wird in realer Zeit berechnet, sodass Bild und Klang live verformt und transformiert werden. Im Vordergrund steht keine Erzählung sondern das Ereignis der Veränderung: Figur und Hintergrund changieren, während jede Aktion für den Fortgang der Animation gleichermaßen (ir)relevant ist. Cheng begreift den Menschen und seine mediale Umwelt als das Ergebnis einer millionenjährigen, evolutionären Mutation. Die Echtzeitsimulationen dienen ihm dabei als ein Experiment, um das Verhältnis von Mensch und Umwelt innerhalb technologischer Bedingungen neu zu denken, indem er nahezu autonom fortlaufende Evolutionen imaginiert. Anders als im Genre des Science-Fiction Films üblich, wo häufig äußere Einflüsse zur Veränderung von menschlichen Lebenswesen und –weisen führen, spekuliert der Künstler in diesen Arbeiten, wie sich Mensch und Welt durch innere Mutationen entwickeln könnten. Wie wirkt sich ein andersartiges mentales Setting auf Verhalten und Handlung aus? Was passiert wenn Lebewesen und Dinge mit einem neuartigen Bewusstsein ausgestattet sind? Die Animationen stellen eine Möglichkeit dar, derartige (un)vorstellbare Evolutionen spielerisch erfahrbar zu machen.
Wu Tsangs (*1982, USA) Interesse gilt unterschiedlichen Formen von Identitätskonstruktionen und damit verbundenen Fragen von Zugehörigkeit. In seinen Filmen und Performances untersucht Tsang die Leerstellen zwischen dem Selbst und dem Anderen indem er Lebensgeschichten von Menschen thematisiert, die beispielsweise aufgrund ihrer Sexualität oder ethnischen Herkunft als andersartig wahrgenommen und ausgegrenzt werden. Oft ist sein persönliches Engagement in der Transgender-Szene und im Einwanderer-Milieu Ausgangspunkt für seine künstlerische Arbeit, in der er die alltäglichen Erlebnisse der Protagonisten re-inszeniert, Repressionen aufzeigt aber auch Prozesse der Transformation und Anerkennung beschreibt. Zentral ist das Spiel mit Sprechakten, die Identität hervorbringen und festschreiben aber auch verändern können. Durch die Methode der „full body quotation“ (Ganzkörperzitat/–Zitierung) schafft Tsang einen Verfremdungseffekt, der die Spannung zwischen der Darstellung und dem Dargestellten markiert. Einige Werke, darunter der mehrfach preisgekrönte Filme Wildness (2012), sind im Stil des magischen Realismus gehalten der die Einbettung des Wunderbaren in den Handlungsverlauf erlaubt ohne es als Irrationalität oder Anomalie einzuführen.
Entscheidend für Jordan Wolfsons (*1980, USA) Arbeiten ist, dass man als Betrachterin das Werk stets verzerrt wahrnimmt und es keinen Wahrnehmungsort oder -zeitpunkt gibt, an dem es in seiner Gänze zu erfassen ist. Überhaupt hat der Körper der Zuschauerin bei Wolfsons Werk eine wichtige Rolle. Zentral ist hierfür der stets wiederkehrende Blick, der eine direkte Ansprache der Betrachterin ermöglicht – das Angeblickt-Werden lenkt die Aufmerksamkeit auf die eigene Person und macht die Rezeptionssituation gewahr. Die für Real Humans ausgewählten Arbeiten zeichnen sich durch die Montage von Bildern aus, die aus unterschiedlichen Kontexten stammen.
Das teils computergenerierte, teils fotografische/filmische Material zeigt markante Symbole oder Gesten aus der Pop- und Jugendkultur, eine Überfülle an Konsumgütern, kulturelle Artefakte ebenso wie sexualisierte und autodestruktive Darstellungen. Dabei vermeidet Wolfson eine moralische Botschaft oder Beurteilung dieser soghaften Bilderfluten. Es ist eher ein Flanieren zwischen den einzelnen Strängen, die vorführen, dass unsere erlebte Welt eine voller unendlicher Wahlmöglichkeiten ist. Zwischen all den Bildern, Waren und Styles artikuliert sich eine Sehnsucht nach Zugehörigkeit und Intimität gleichermaßen wie ein Bedürfnis nach Abgrenzung und Einzigartigkeit. Wolfson spielt mit den Mythen und Bedeutungen der kapitalistischen Bildwelt, die das Begehren und die Imagination beeinflussen – im Strom ihrer Virulenz entfaltet sich ein zweigleisiger Prozess des Individuums zwischen Selbstbestimmung und Selbstzerstörung.
Auffällig sind die Verknüpfungen zwischen den einzelnen Positionen der drei Künstler: die Beschäftigung mit Identitätsentwürfen, die auf Differenz beruhen, und das Hinterfragen von Normvorstellungen. Auch wiederkehrende formale Elemente wie Spiegel und spiegelnde Flächen sowie das Anblicken der Betrachterin sind verbindend. So thematisiert Ian Cheng in seiner Arbeit Bigger Than Your Blog (2001) wie sich menschliche Identitäts- und Kommunikationsprozesse innerhalb einer technologischen Umwelt verändert haben. Die Skulptur ist eine Art Selbstreflektion, die in ihrer Form an digitale Nachrichten erinnert, die private Wünsche und Gedanken zum Ausdruck bringen. Aufgetragen ist sie auf einem reflektierenden Stoff. Wu Tsang hingegen dient der Spiegel zur kritischen Auseinandersetzung mit der Repräsentation von individuellen Lebensgeschichten. In der Videoinstallation DAMELO TODO // ODOT OLEMAD (2010, 2014) beispielsweise wird durch den gezielten Einsatz von Spiegeln der Blick der Betrachterin mehrfach gebrochen auf sich selbst zurückgeworfen. Der Film ist nicht ganzheitlich zu erleben, wodurch die Möglichkeit einer vollständigen Abbildung der Realität in Frage gestellt wird. Doch der Film ist dadurch weniger als eine gescheiterte Wiedergabe der Wirklichkeit zu verstehen. Vielmehr verdeutlicht der Künstler wie subjektiv die Realität ist – die Bilder sind ebenso real wie ihre Geschichten dahinter. Mit dem Anblicken der Betrachterin markiert Jordan Wolfson in der Videoinstallation Raspberry Poser (2012) nicht nur deren körperliche Situation als Rezipientin. Er schafft damit auch einen Kommentar auf eine Form von Individuation, die darauf beruht, wie wir Bilder, Waren, Gesten und Symbole konsumieren, uns aneignen oder diese veräußern. Erst sie bieten dem Selbst einen Spiegel, in dem es sich wiedererkennen kann.
Indem die Künstler je einen eigenen Raum für die Präsentation ihrer Werke erhalten, lässt das Ausstellungsformat einen Erfahrungsraum von singulären Begegnungen sowie Verknüpfungen zwischen den Arbeiten zu.
Real Humans wird kuratiert von Elodie Evers und Irina Raskin.
In Kooperation mit der Julia Stoschek Foundation wird am Eröffnungswochenende die Performance Moved by the Motion von Wu Tsang und der Performerin boychild in Zusammenarbeit mit dem Cellisten Patrick Belaga in Deutschland uraufgeführt. Die Performance findet statt am 7. Februar 2015 um 20 Uhr in der Julia Stoschek Collection.
Anlässlich der Ausstellung erscheinen im April 2015 die ersten Monografien zu Ian Cheng (im Rahmen des Förderpreises „Kataloge für junge Künstler“ der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung) und Wu Tsang (in Kooperation mit dem Migros Museum für Gegenwartskunst Zürich).
Die Ausstellung wird großzügig unterstützt durch die Kunststiftung NRW und gefördert durch die Hans-Böckler-Stiftung.
Unsere Rezension zu dieser Ausstellung finden Sie hier.
Das Ausstellungsjahr 2015 in Düsseldorf und Umgebung
abstrakt, revolutionär, anspruchsvoll und retrospektiv
Das Ausstellungsjahr 2015 rückt näher und hat unglaublich viel zu bieten. Damit Sie den Überblick behalten und nichts verpassen, hat unsere Redakteurin und Kunsthistorikerin Meike Lotz die wichtigsten „Have to see“–Ausstellungen in Düsseldorf und Umgebung für Sie zusammengestellt.
Januar
Wer es im Jahr 2014 nicht mehr schafft, sollte sich in 2015 noch unbedingt die „Katharina Grosse – Inside the Speaker“-Ausstellung im Museum Kunstpalast anschauen, denn am 1.2. endet die Schau und damit verschwindet auch die 800 qm große, begehbare Installation, die die Berliner Künstlerin eigens für das Museum im Ehrenhof entworfen hat auf nimmer wieder sehen. Das authentische Farberlebnis lässt sich auf Fotos jedenfalls nicht nacherleben. Katharina Grosse. Inside the Speaker, bis 1. Februar 2015
Am 23. Januar eröffnet im Museum Folkwang in Essen eine sehenswerte Ausstellung der zeitgenössischen Performancekünstlerin und Malerin Otobong Nkanga. Die 1974 in Nigeria geborene Künstlerin ist bekannt durch ihre performativen Aktionen, die auf detaillierten Recherchen beruhen. Sie stellte bereits u.a. auf den Biennalen von São Paulo, Berlin und Sharjah sowie in der Tate Modern in London aus. Sie lebt und arbeitet in Antwerpen. Ihren künstlerischen Fokus legt die Künstlerin auf soziale und topographische Veränderungen in ihrem Umfeld. Umweltfragen, Lebensweisen und die sich daraus ergebenden Folgen erhalten in ihren medienübergreifenden Arbeiten einen narrativen und emotionalen Moment.
In der Ausstellung „14 Rooms“ (2014) auf der Art Basel forderte Otobong Nkanga beispielsweise die Besucher auf, einen Blumentopf durch die Ausstellunghalle zu tragen – auf dem Kopf balancierend, wie es in Afrika üblich ist.
2015 in Essen wird die Künstlerin ein zweiteiliges Projekt mit Objekten der Sammlung realisieren. Zum einen wird sie Mitarbeiter des Museums einladen, sich mit ausgewählten Objekten der Sammlung fotografieren zu lassen. Diese Fotografien werden in der Stadt verteilt plakatiert. Wie im Beuy’schen Sinne wird das Museum und seine Schätze sozusagen in den Sozialen Raum der Essener Bürger getragen. Eine Art „Soziale Plastik“?
Zum anderen konzipiert die Künstlerin eine Installation, die die „verschlungenen Geschichten der Dinge sichtbar“ werden lassen. Klingt geheimnisvoll – bleibt spannend und ein Besuch lohnt sich sicher! Otobong Nkanga, 23. Januar bis 18. Mai 2015, Folkwang Museum Essen
Februar
Im Februar bleibt es zunächst zeitgenössisch: Das K20 am Grabbeplatz zeigt das Werk des Düsseldorfer Künstlers und Mitbegründer der Zero-Kunst Günther Uecker aus heutiger Perspektive. Dabei finden die politischen Aussagen des Künstlers und seine Schriften sowie Filme ebenso Aufmerksamkeit wie seine meditativen Schöpfungen, in der sich der Künstler intensiv mit der Wirkung des Lichts auseinandersetzt. Ziemlich passend, da 2015 auch das „Jahr des Lichts“ ist.
Uecker, 7. Februar bis 10. Mai 2015, K20 Kunstsammlung Düsseldorf
März
Am 1. März startet dann in der Galerie Ludorff auf der Königsallee die Reihe der Jubiläumsausstellungen anlässlich des 40jähren Bestehens der bekannten und renommierten Düsseldorfer Galerie. Unter dem Titel »Formen der Abstraktion« sind rund 40 Werke international bedeutender Künstler wie Josef Albers, Serge Poliakoff, Ernst Wilhelm Nay, Otto Piene, Gotthard Graubner und Gerhard Richter zusehen. Die zwei grundsätzlichen Richtungen der Abstraktion, die gestisch-malerische sowie die geometrisch-ordnende Form werden in der Ausstellung dabei ebenso dargestellt wie die Einzelpositionen der Künstler und ihre Errungenschaften für die Kunst.
Der 1933 emigrierte Joseph Albers beispielsweise widmete sein Hauptwerk eines einzigen Themas – dem Quadrat. Durch die strenge Wiederholung des Quadrats bei wechselnder Farbgebung, leistete er nicht nur einen erheblichen Beitrag zur modernen Farbenlehre sondern auch zu allem Seriellen in der Malerei.
George Rickey, der neben Alexander Calder, zu den Hauptmeistern der kinetischen Skulptur zählt, will auf Basis hochqualifizierter Ingenieurskenntnisse, kinetische Plastik in Reinkultur: Schwingen, Schweben, Pendeln, Steigen, Kreisen und Vibrieren – Bewegung als kreatives Prinzip, schlägt auf diese Weise eine Brücke zwischen Kunst und Leben.
Zum Frühlingsbeginn gibt es auch einen Newcomer Geheimtipp:
Der Düsseldorfer Künstler Jan Albers zählt zu einer jüngeren Generation konzeptuell arbeitender Künstler, die der Malerei in ihrem Werk unerwartet Neues hinzufügt. Ihm widmet die Kunsthalle in Wuppertal eine umfangreiche Einzelausstellung, die sich überwiegend auf aktuelle Werke aus den vergangenen drei Jahren konzentriert, in denen Albers Arbeiten mehr und mehr die Fläche verlassen, raumgreifend und dreidimensional werden. Jan Albers – cOlOny cOlOr“, 22. März bis 12.Juli 2015, Kunsthalle Wuppertal
April
Am 18. April ist in Düsseldorf dann die ersehnte „Nacht der Museen“ und davor lohnt sich ein Ausflug nach Neuss, denn die Langen Foundation auf der Raketenstation Hombroich zeigt die Ausstellung „Olafur Eliasson. Werke aus der Sammlung Boros“. Wie der Titel schon verrät, gibt die Schau einen Blick auf Eliassons Arbeit aus der Perspektive des Sammlers. Mit rund 40 Werken, entstanden zwischen 1994 und heute, gibt die Präsentation darüber hinaus einen repräsentativen Überblick über das Œuvre des Künstlers seit seinen Anfängen. Besonders die Arbeit Room for all colours von 1999 wird sicherlich in Korrespondenz zu der kühlen und eleganten Architektur des Japaners Tadao Ando ein visuelles Erlebnis, was man so schnell nicht vergessen wird. Die Ausstellung eröffnet am 18. April 2015, von 12 bis 17 Uhr.
Olafur Eliasson. Werke aus der Sammlung Boros, 18. April bis 18. Oktober 2015, Langen Foundation Neuss
Mai
Die Kunsthalle Düsseldorf zeigt ab 9. Mai erstmalig weltweit eine Retrospektive des in Korea geborenen Künstlers Cody Choi (*1961 in Seoul, lebt dort). Choi arbeitet in Malerei, Skulptur, Neon, Installation, Tusche und Computergrafik. Seit den 1980er Jahren nimmt er über die Stationen Los Angeles und New York eine entscheidende Rolle in der internationalen Kunstszene ein und trägt maßgeblich zu einem Dialog der Kulturen bei. In seinen Arbeiten setzt sich der Künstler mit den kulturell produzierten Konflikten westlicher und östlicher Länder sowie der schonungslosen Verwestlichung Asiens auseinander. In Beziehungen zu Auguste Rodin, Mike Kelley oder Gerhard Richter werden Themen der kulturellen Assimilation und der Appropriation Art behandelt. CODY CHOI. Culture Cuts, 2. Mai bis 2. August 2015, Kunsthalle Düsseldorf
– Sommerpause –
August
2,5 Millionen Jahre lebte der Mensch als Jäger und Sammler. Abhängig von den Jahreszeiten und den Wanderungen seiner Jagdbeute bewegte er sich durch verschiedene Landschaften und passte sich unterschiedlichsten Klimabedingungen an. Vor 12.000 Jahren, mit dem Ende der letzten Eiszeit, vollzog sich jedoch ein fundamentaler Wandel: Der Mensch wurde sesshaft, errichtete Siedlungen mit festen Gebäuden, begann Getreide anzubauen und Vieh zu züchten. Diese jungsteinzeitliche Revolution ist für die Menschheitsgeschichte noch bedeutender als die industrielle Revolution des 19. Jahrhunderts. Sie steht am Anfang der modernen Zivilisation in Europa und ist zugleich Ausgangspunkt für viele Errungenschaften aber auch Probleme unserer Gegenwart.
Die Ausstellung im LandesMuseum Bonn stellt eine der faszinierendsten Epochen der Menschheitsgeschichte vor und erklärt die Anwendung modernster Methoden in der Archäologie. Sie zeigt ein völlig neues, lebendiges und fesselndes Bild von der Jungsteinzeit und liefert zahlreiche, überraschende Bezüge in unsere heutige Welt. Einzigartige Funde geben ungeahnte Einblicke in das Leben vor Tausenden von Jahren. Abwechslungsreiche Mitmachbereiche und aufwändige Medienstationen machen die Ausstellung zu einem außergewöhnlichen Erlebnis für Jung und Alt. REVOLUTION JUNGSTEINZEIT – Archäologische Landesausstellung Nordrhein-Westfalen, 27. August 2015 bis 7. Februar 2016, LandesMuseum Bonn
Oktober
Erstmalig wird dem spanischen Barockmaler Francisco de Zurbarán (1598 – 1664) in Deutschland eine Retrospektive gewidmet. Rund 70 Werke von Zurbarán, der neben Velázquez als einer der bedeutendsten Vertreter des glanzvollen Goldenen Zeitalters in Spanien gilt, zeigt ab 10. Oktober das Museum Kunstpalast hier in Düsseldorf.
Die Schau steht unter der gemeinsamen Schirmherrschaft des Bundespräsidenten Joachim Gauck und S. M. König Felipe VI.
Seltene und wertvolle Leihgaben aus der National Gallery London und der Alten Pinakothek München sowie die Zusammenarbeit mit dem Museo Thyssen-Bornemisza, Madrid werden diese Ausstellung zu einer derjenigen Museumspräsentationen machen, die man nicht verpassen sollte. Kunstgenuss pur – da können wir uns schon Ende 2014 auf das Ende 2015 freuen – In der Hoffnung, dass die Besucherschlange vor der Kasse nicht so lang sein mag wie erwartet.
Zurbarán verbrachte den Großteil seines Lebens in Sevilla, wo er eine Vielzahl von religiösen Einzelwerken, aber auch Zyklen für zahlreiche Klostergemeinschaften schuf. Sowohl seine stillen Andachts- und Altarbilder als auch seine Darstellungen von weiblichen Heiligen zeigen ihn als einen Meister der Detailgenauigkeit, dem eine subtile Synthese von Realismus und Mystizismus gelang. Francisco de Zurbarán, 10.Oktober 2015 bis 31.Januar 2016, Museum Kunstpalast Düsseldorf
November
Das Endes des Jahres 2015 läutet das K20 am Grabbeplatz mit einem ‚Werk der leisen Töne‘ ein: Zu sehen ist eine Retrospektive mit Gemälden und Zeichnungen von Agnes Martin (1912 – 2004), einer der bemerkenswertesten Malerinnen des 20. Jahrhunderts.
Ihre zart gemalten Gemälde schärfen bei genauerer Betrachtung unsere Sehgewohnheit. So kommentiert die Künstlerin treffend: „Meine Bilder haben weder Gegenstand noch Raum noch Linien oder etwas anderes – keine Formen. Sie sind Licht, Lichtheit, sie handeln vom Verschmelzen, von Formlosigkeit, vom Auflösen der Form“
Ihre nicht gegenständlichen Arbeiten erinnern daher an minimalistische Kunst, weisen dann aber doch eher in die Richtung des Abstrakten Expressionismus. Ihren künstlerischen Fokus legt Agnes Martin dabei auf eine Perfektion, die ihre mit der Hand gezeichneten langen, teilweise hauchdünnen Bleistift – Horizontalen niemals selbst verkörpern können. So bekennt Agnes Martin melancholisch „Sie selbst suche die Erinnerung an die Vollkommenheit“
Die Ausstellung, die von der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen in Kooperation mit Tate Modern, London, dem LACMA, Los Angeles, und dem Solomon R. Guggenheim Museum, New York organisiert wird, zeigt Arbeiten ihre ersten Experimenten der 1950er Jahre bis hin zum reifen Spätwerk und ermöglicht einen tiefen Einblick in Agnes Martins malerisches Werk. Agnes Martin. Eine Retrospektive, 07. November 2015 bis Februar 2016; K20 Kunstsammlung Düsseldorf
Das Wort Fotografie ist ein Kunstwort griechischen Ursprungs und bedeutet “mit Licht malen”.
So ist zum Beispiel der Begriff Lichtbild nicht von ungefähr entstanden. Dieser Begriff hat allerdings schon so viel Staub angesetzt wie beispielsweise das daraus abgeleitete Wort Lichtspielhaus, das heute niemand mehr mit Kino verbinden würde. So ist es doch ein wenig ungewöhnlich, dass diese Ausstellung „Lichten“ heißt, denn sowohl im Niederländischen, als auch im Deutschen wird dieser Begriff unterschiedlich gebraucht. Erhellen, Helligkeit und enthüllen sind nur einige Assoziationen. Spektakulär an dieser Ausstellung ist allerdings, dass Thomas Ruff zwei komplett neue Werkgruppen aus 2014 zeigt und dabei für seine Fotogramme das Supercomputing Center in Jülich mit ins Boot holte. Denn , so stellte er sich bald die Frage :Was macht man, wenn die 6 Pc’s und 3 Mac’s zu Hause nicht ausreichen, um die jüngsten Ideen umzusetzen?
Für seine Neuinterpretationen alter Künstlerversuche aus den 20er Jahren von Man Ray und Moholy Nagy: die Fotogramme. Man Ray und Moholy-Nagy versuchten Bilder ohne Kamera in der Dunkelkammer entstehen zu lassen, indem sie Gegenstände auf lichtempfindlichem Papier arrangierten und belichteten. Die Abbildungen, zum Vorschein kamen, waren schwach erkennbar, dafür umso geheimnisvoller. Thomas Ruff wollte diese Technik ins 21. Jahrhundert überführen. Mit seinem hauseigenen Computing-Center hätte er für ein Bild mindestens ein halbes Jahr gebraucht. Und das Ergebnis wäre keine hundertprozentige Auflösung geworden, schon gar nicht in Farbe, so wie Ruff es geplant hatte.
Durch ein Gespräch mit Norbert Fleck, dem ehemaligen Intendanten der Bundeskunsthalle Bonn, wurde er auf die Idee gebracht, sich um Rechenzeit im Forschungszentrum Jülich zu bewerben. Dort stehen Deutschlands Supergehirne, seit 2013 auch der Supercomputer „Jucqueen“, der so schnell ist wie etwa 100.000 PCs. Aber dieser Computer sollte es für Thomas Ruff nicht sein.“ Juropa“ (Jülich Research on Petaflop Architectures) so die Abkürzung für einen Computer, der über 52 Terabytes verfügt, war für dieses Experiment geeignet. In Jülich steht er in einer gigantischen Halle mit den anderen Gehirnriesen. Und alle die dort stehen erzeugen immensen Lärm, da sie ständig heruntergekühlt werden müssen. Wenn man diese Halle betritt, sieht man keinen Monitor, keine Tastatur, keinen Menschen. Höchstens einmal einen Techniker, der irgendwelche Platten wechselt. Normalerweise nutzen Physiker, Chemiker oder Biologen die Anlage und lassen dort komplizierte Formeln errechnen. Zum ersten Mal in der Geschichte des Computerzentrums, hat ein Künstler sich an Jülich gewandt. Und da für „Juropa“ eine gründliche Aufrüstung und Überprüfung anstand, sah man in der Bildberechnung für Ruff eine ungewöhnliche Herausforderung. Bei Ruffs neuartigen und abstrakten Fotogrammen, die weg sollten vom schwarz-weiß, der Dunkelkammer und dem Fotopapier, fielen große Datenmengen an. Der Künstler verwendete im Schnitt drei virtuelle Lichtquellen pro Fotogramm, bei einer Bildgröße von 2,20 Meter mal 1,80 Meter entsteht so ein Datenvolumen von 18 Terabyte. Im Cmputer wird virtuelles Licht auf virtuele Gegenstände, die auf virtuellem Papier liegen projeziert.
„Diese virtuelle Dunkelkammer,“ so Thomas Ruff, „hat für mich drei Vorteile: die Bilder sind nicht auf die Größe des Fotopapiers beschränkt, am Computer kann ich schnell und einfach Gegenstände sowie Lichtquellen verändern, und es entstehen im Gegensatz zur analogen Welt farbige Fotogramme.“ 20 Bilder mit einer Auflösung von bis zu 23.500 mal 17.600 Pixeln sind in Jülich errechnet worden und das Ergebnis sah man zum ersten Mal im S.M.A.K in Gent und nun in Düsseldorf.
Neben den Super-Fotogrammen zeigt die Düsseldorfer-Ausstellung eine Auswahl früher Werke und eine zweite neue Serie von “Negative” n. In dieser Serie hat Ruff Sepia farbene alte Positivabzüge von Künstlerateliers, Akte, prunkvolle Mharadschas der Kolonialzeit in Negative umgewandelt. So entstand am Computer in kaltem blauen Licht, das was Hell war wird Dunkel, was Dunkel war wird hell.
Der Meisterschüler von Bernd und Hilla Becher hat in seinen Anfängen noch die Prägung durch seine Lehrer in sein Werk eingebracht. Auch wenn er im Gegensatz zu seinen Lehrern schon farbig arbeitete. Mit analoger Tecnik und ohne künstliches Licht. Sein häusliches Umfeld im Schwarzwald, wo Ruff geboren ist, hat er in einer Serie verarbeitet, die den Wohnstil der 50er beleuchtete und in seiner Reduzierung auf das Wesen eines Raumes hindeutete. Nachdem die meisten Wohnungen seiner Verwandten und Bekannten in den 80ern renoviert wurden, stellte er diese Serie 1983 ein.
Ruff der eigentlich Astronom werden wolllte kam in den Besitz von Archivfotos des European Southern Observatory in Chile . Er vergrößerte Bildausschnitte und erschuf Sternenwelten, vor dunklem Hintergrund. Manche der dort abgebildeten Sterne sind verschwunden. Es war das erste Mal, das Ruff nicht selbst zur Kamera gegriffen hat, sondern aus der Bearbeitung heraus neue Kunstwelten schuf.
Und immer weder war er ein getriebener in Sachen Technik In Zeiten des Golfkrieges flimmerten grünliche, kaum zu entziffernde Bildwelten über unsere TV-Geräte. Den Effekt des sogenannten Restlichtverstärker nahm Ruff auf und zog nachts durch die menschenleeren Straßen Düsseldorfs und Umgebung. Das diffuse Grün, die undefinierten Gebäude und Landschaften verbreiten Kriegsangst, obwohl nirgendwo ein Kriegsgerät zu sehen ist. Schön sind diese Arbeiten nicht, aber schön unheimlich.
Und nun “phg” , der Computer macht farbige Fotogramme möglich. Seit 2012 arbeitet Ruff an diesem Projekt. Bildwelten, die aussehen als hätte man abstrakte Kaleidoskope abgebildet oder aber Ausschnitte aus Kathedralenfenster . Der Fotograf und der 40 Millionen teure Rechner aus Jülich und PC-Fachleute, die selbst nicht wussten, wie das Ergebnis ausieht. Erst im S.M.A.K in Gent, wo die Ausstellung zuerst zu sehen war, konnten sie einen Blick auf das Endergebnis werfen und waren berührt.
Was ist Ruff nun eigentlich? Fotograf, Maler? Fragt man ihn selbst, so hat er eine einfache Antwort: “Ich bin Künstler.” Recht hat er.
Xavier Cha (US), Simon Denny (1982, NZ), Aleksandra Domanović (1981, SI), Omer Fast (1972, IL), Christoph Faulhaber (1972, D), Kenneth Goldsmith (1961, US), International Necronautical Society, Korpys/Löffler (1966/1963, DE), Trevor Paglen (1974, US), Laura Poitras (1964, US), Tabor Robak (1986, US), Santiago Sierra (1966, ES), Taryn Simon (1975, US)
Die Wahrheit ist: Der Industriekapitalismus wandelt sich zum digitalen Kapitalismus. Das ändert die Lage.[1] Der Binär-Code regiert die Welt. Der informations- und kommunikationstechnische Umbruch revolutioniert Wirtschaft und Gesellschaft.[2] Was heißt es, ein Individuum in der Informationsgesellschaft zu sein? Denn eine Informationsgesellschaft ist immer auch eine Überwachungsgesellschaft. Nicht die Information bringt die Überwachung hervor, sondern die Überwachung die Information: Sobald menschliche Äußerungen und Regungen quantifizierbar werden, werden sie aufgezeichnet, um irgendwo etwas ökonomisch, bürokratisch oder ideologisch zu optimieren.[3] Spätestens seit Edward Snowden die breitflächige Überwachung des US-Geheimdienstes aufgedeckt hat, ist für die Post-Privacy-Denker klar: Die Privatsphäre ist tot, die NSA hat lediglich noch ihren Stempel daruntergesetzt.[4] Leistungsfähige Computer wissen manchmal mehr über uns als wir selber. Die Speicherkapazität dieser Systeme wächst jedes Jahr kontinuierlich um das Zehnfache. Es kommt so weit, dass man nichts Verbotenes getan haben muss; es reicht, dass man jemandem irgendwann verdächtig vorkommt, selbst wenn es sich dabei um einen Irrtum handelt, und dann können sie das System nutzen, um in die Vergangenheit zurückzuschauen und jede Entscheidung zu überprüfen, die irgendwann getroffen hat, jeden Freund, mit dem man einmal etwas diskutiert hat, und sie können einen auf dieser Grundlage angreifen, um aus einem unschuldigen Leben irgendwie einen Verdacht zu konstruieren und jedermann als Täter darzustellen.[5] In der Zukunft der modernen Kriegsführung, zumindest darin sind sich die meisten Experten einig, werden drei Buchstaben eine entscheidende Rolle spielen: NCW für Network Centric Warfare. Dahinter verbergen sich Netzwerke, die Einheiten untereinander und mit ihren Kommandeuren verbinden – und ihnen damit die Möglichkeit zur schnellen, flexiblen und asymmetrischen Kriegsführung bieten. Das Ziel ist dabei klar formuliert: Informationsüberlegenheit über den Feind.[6]
Die Bezeichnung »Big Data«, als ein Begriff aus dem Wirtschaftsjargon und mehr noch als Beschwörung eines kommenden Zusammenbruchs, ist schnell langweilig geworden. Doch die enorme Ausweitung der Bandbreite und Tiefe von Informationen über unser Verhalten, die routinemäßig erfasst werden, und die neuen Analysemöglichkeiten, die dadurch entstehen, lassen sich nicht leugnen. Einer Schätzung zufolge werden derzeit mehr als 98 Prozent der weltweiten Informationen digital gespeichert, und dieses Datenvolumen hat sich seit 2007 vervierfacht. Ein großer Teil dieser Daten wird von gewöhnlichen Menschen am Arbeitsplatz und zu Hause erzeugt, indem sie E-Mails verschicken, im Internet surfen, sich in sozialen Netzwerken bewegen, an Crowdsourcing-Projekten arbeiten und vieles mehr – und indem sie dies tun, haben sie unwissentlich dazu beigetragen, ein großartiges neues gesellschaftliches Projekt zu starten. Wir befinden uns inmitten eines großen Infrastrukturprojekts, das in gewisser Hinsicht denen der
Vergangenheit – von den römischen Aquädukten bis zur Encyclopédie der Aufklärung – gleichkommt.[7] Das digitale Spiegelbild des Gegenwartsmenschen ist in Hunderte Einzelteile zersplittert.[8]
Das Wissen im Internet ist dynamisch. Es ist flüchtig. Es ist volatil. Es ändert jeden Tag seine Gestalt. Wir wissen wenig über seine Quellen, über die dahinterstehenden Interessen und seine Glaubwürdigkeit.[9] Die Folge ist eine zunehmende Copy-and-paste-Kultur ohne echte Aneignung des Inhalts.[10] Informationen wollen gratis sein. Gleichzeitig wollen Informationen teuer sein. Informationen wollen gratis sein, weil es so billig geworden ist, sie zu verbreiten, zu kopieren und neu zusammenzustellen – zu billig, um messbar zu sein. Sie wollen teuer sein, weil sie für den Empfänger unermesslich wertvoll sein können. Diese Spannung wird sich nicht auflösen.[11]
Im Fokus der Ausstellung Smart New World steht der grundlegende, die Gesellschaft radikal verändernde Prozess der Digitalisierung – die Auflösung und Überführung analoger Informationen in digitale Codes zum Zweck ihrer Speicherung und Weiterverarbeitung. Die eingeladenen Künstlerinnen und Künstler nutzen die rasanten Entwicklungen der digitalen Technologie nicht nur als Inspiration für ihre Bildwelten, sondern reflektieren vor allem deren kulturelle, gesellschaftliche und politische Dimension.
Scharfsinnig, kritisch und auch humorvoll widmen sich die unterschiedlichen Arbeiten den Möglichkeiten, Visionen und Gefahren der Digitalisierung. Dabei wird die staatliche und ökonomische Zensur, die einen Angriff auf demokratische Wissensproduktion und die Privatsphäre jedes Einzelnen bedeutet genauso in Augenschein genommen, wie die Auswirkungen des Internets auf unsere Denk- und Wissensstrukturen. Alle Werke verbindet ihr investigatives Potenzial.
Die International Necronautical Society (INS), einneoavantgardistisches, streng hierarchisch organisiertes Netzwerk von Künstlern, Schriftstellernund Philosophen,hat ein komplexes Einlassverfahren für die Ausstellung entwickelt,bei dem jeder Besucher mit seiner Unterschrift einen Verbrauchervertrag auf Basis der philosophischen Doktrin der INS abschließen muss. Die Unterzeichnung dieser Erklärung, die auf den Bedingungen der digital-kapitalistischen Gegenwart basiert, ist unabdingbare Voraussetzung für den Besuch der Ausstellung.
Christoph Faulhabers filmische Künstlerbiografie erzählt unter anderem von seinen unbequem provokativen Performances, mit denen er die Funktionsweise staatlicher Überwachungsapparate vorführt, während das Künstlerduo Korpys/Löffler unter Anwendung nachrichtendienstlicher Methoden die neue Zentrale des deutschen Geheimdienstes in Berlin selbst überwacht und dokumentiert. Die Filme von Omer Fast und Santiago Sierra wiederum thematisieren auf sehr unterschiedliche, aber gleichermaßen eindringliche Weise den digital gesteuerten Drohneneinsatz, der für die moderne Kriegsführung bestimmend ist. Im Zentrum von Trevor Paglens aufwendig recherchierten Arbeiten steht dagegen der weitgehend unbekannte und unsichtbare, aber gleichwohl gigantische physische Teil des US-Militärs und der Geheimdienste, wie beispielsweise Gebäude oder Satelliten. Laura Poitras, die neben Glenn Greenwald die erste Person war, die Zugriff auf die von Edward Snowden zur Verfügung gestellten Dokumente der globalen Überwachungs- und Spionageaffäre hatte, zeigt Filmmaterial über den Neubau des NSA Überwachungsgebäudes in Bluffdale, Utah, das sie viele Jahre lang dokumentiert hat. Kenneth Goldsmith hingegen nimmt das utopische Potenzial des Internets ernst und engagiert sich für Informationsfreiheit und Bildungsgleichheit, indem er privatisierte Informationen zu einem öffentlichen Gut erklärt. Gleichzeitig macht er auf die schier unerschöpfliche digitale Datenflut aufmerksam, der kein Mensch jemals Herr werden kann. Taryn Simon unterzieht ihrerseits die Bilderflut des Internets einem konzeptuellen Eingriff, der deutlich macht, dass Suchmaschinen niemals »neutral« operieren und unsere Vorstellungswelt erheblich bestimmen. Auch Aleksandra Domanović legt offen, wie der schlagwortbasierte Wissenserwerb unser Denken und unsere Wahrnehmung beeinflussen, und Xavier Cha überträgt in einer ausstellungsbegleitenden Performance die oft zwanghaft repetitive Nutzung digitaler Medien in eine Choreographie. Tabor Robak führt die Verführungsstrategien der Werbung mittels der Möglichkeiten digitaler Bildproduktion vor. Simon
Denny schließlich macht in seinem Beitrag Hardware zu Skulptur und thematisiert die Bedeutung von technischer Entwicklung, Kommunikation und Interface. Sein massiver Block aus gequetschten Fernsehgeräten und Bildern analoger Fernseher auf bedruckten Leinwänden stellt visuell wie inhaltlich eine Verbindung zur raumgreifenden Blackbox im Eingangsbereich her, in der die INS die gesammelten Unterschriften der Besucher archiviert: Diese Blackbox ist Teil eines Systems, das nur über die Benutzeroberfläche – das Interface – Kommunikation und Transferleistungen ermöglicht, ohne die inneren Vorgänge sichtbar zu machen.
Das Experiment: Die Kunsthalle Düsseldorf zeigt einen „neuen“ Thomkins
von Meike Lotz
„Aus Etwas, etwas Anderes zu machen“ war der Leitsatz des Künstlers André Thomkins und so steckte er 1971 in dem berühmten Düsseldorfer Eat-Art Restaurant seines Künstlerfreundes Daniel Spoerri kurzerhand eine Spaghetti in eine Makkaroni und nannte das Werk schlicht „Mit Spaghetti genudelter Makkaroni“. Dies ist nur eine von zahlreichen Arbeiten, die nun in einer großen Retrospektive in der Kunsthalle Düsseldorf zu sehen sind und Thomkins in einem überraschend neuem Licht darstellen. Eigentlich ist der Schweizer Künstler bekannt durch sein zeichnerisches Werk. Die experimentelle, humorvoll-spielerische Seite des Schweizer Künstlers, der über 20 Jahre seines Lebens im Rheinland verbrachte, blieb bislang unentdeckt.
Das Kunstmuseum Liechtenstein in Vaduz beherbergt den Nachlass von Thomkins mit rund 6700 Arbeiten, deren Sichtung und Archivierung nun zu einer Neubewertung des Gesamtwerkes geführt haben und in der Ausstellung »André Thomkins. Eternal Network« für den Besucher sichtbar wird. Begrüßt wird dieser zu Beginn der Ausstellung mit wortkünstlerischen Arbeiten – den Palindromen: Das sind Buchstabenketten, die sich von vorwärts sowie rückwärts gleich lesen lassen. »DOGMA I AM GOD«; »Nie, Wein!«.. und »OH! CET ECHO!« steht auf den Replik-Stempeln am Eingang der Kunsthalle. Hier kann der Besucher sich also »ein-stempeln« in die Welt der Symmetrie des Künstlers André Thomkins. An der Wand gegenüber hängen dessen bekannte Palindrom-Straßen-
schilder, die damals an der Aussenfassade des 1968 eröffneten Restaurants von Daniel Spoerri am Burgplatz in Düsseldorf hingen und jetzt den Besucher in die Thomkins-Ausstellung weisen.
Im Fokus von Thomkins Kunst stehen Variation und Vernetzung und so präsentiert sich der Künstler auch im ersten Teil der Ausstellung mit Selbstporträts, die in ihrer Verschiedenheit nur als solche deutbar wurden, da Thomkins die sogenannte Ur-Figur, einen rechteckigen Kopf mit ovalem Körper und Strichbeinen, mit seinem Namen betitelt hat. Ergänzt sind die Zeichnungen mit einer Wortarbeit, in der der Künstler seinen Namen in 13 neue Worte verwandelt hat. Und so wird aus ANDRE THOMKINS: »Denk-Harmonist«, »Norm-Handkiste« oder »Ist – man – denk – roh«?
Bereits hier entpuppt sich Thomkins‘ wortgewandter Humor. Seine Experimentierfreude lässt sich an einem »Knopfei« ebenso ablesen wie bei der neu entdeckten Technik der »Lackskins«. Thomkins tropfte hier mit Lackfarbe auf ein mit Wasser gefülltes Becken und malte sowie pustete die Farbe dann in die gewünschte Form. Das flüchtige Bild schwamm so lange auf der Wasseroberfläche bis der Künstler die Lackhaut mit einem Papier abzog. Die Werkgruppe der »Lackskins«, die hauptsächlich zu der Neubewertung des Künstlers beitrug, sind vorwiegend im zweiten Teil der Ausstellung zu sehen. Genauso wie das Relikt der Aktion »Für Sägler und Nagler. Wohnungsentwöhnung«, welche Thomkins anlässlich der Freunde-Ausstellung vor der Kunsthalle Düsseldorf 1969 schuf. Thomkins zersägte vor den Augen des Publikums Möbel und arrangierte die Teile zu einem neuem Möbelstück wieder zusammen. Mit Freunde sind die »Düsseldorfer Freunde« gemeint: Daniel Spoerri, Karl Gerstner, Dieter Roth und André Thomkins.
Bereits Anfang der 1950er Jahren kam Thomkins der Liebe wegen ins Rheinland – zunächst nach Rehyt. 1954 zog er dann mit seiner Lebensgefährtin und Künstlerin Eva Schnell nach Essen. Von 1971 bis 1973 lehrte er als Professor an der Kunstakademie hier in Düsseldorf und hatte in der nordrheinwestfälischen Hauptstadt 1978 seine erste Einzelausstellung in der Kunsthalle.
35 Jahre später nun wieder : Diesmal auch mit Gummi- und Eat-Art-Objekten. Letztere sind im Spoerri-Restaurant hier in Düsseldorf entstanden und bestehen aus Nudeln, Oblaten, Lakritze, Zimt, Kaffee und Erbsen…
Thomkins Experimentierfreude springt rasch auf den Besucher über: So steht verlockend neben der Vitrine des Werks »Mühlen-Mahl-Gebet Inspiration, n.d« (1968) eine Tret-
pumpe, die Luft in vier liegende Makkaronis stoßen soll, so dass sich das aus Spaghetti und Riesenoblaten gebaute Mühlenrad in Bewegung versetzen lässt. Leider ist die Betätigung durch den Besucher nicht erlaubt, aber um das Werk in Aktion zu erleben, kann man das Aufsichtspersonal um Vorführung bitten. Auch das große Xylophone-Rad aus einfachem Holz wird auf Wunsch bewegt und es ertönt ein experimenteller Klang – auch musikalisch suchte Thomkins nach neuen Möglichkeiten.
Am Ende hat der Besucher Thomkins in seiner ganzen Breite und Vielfalt erfahren, und wird von dem innovativen und vielseitigen Künstler mit einer weiteren Wortmal-Aktion »Weitermalen« (1984) verabschiedet.
»Nee, die ideen!«: Thomkins war tatsächlich nicht nur ein hervorragender Zeichner, sondern auch ein humorvoller-innovativer Experimentator. So schreibt die Thomkins-Expertin Dagmar Streckel treffend im Katalog: »André Thomkins war kein Maler. Er war ein sich im Fluss befindender, netzwerkender Bild-und Wort-Künstler«.
Von heute bis zum 5. Januar ist die Ausstellung in der Kunsthalle Düsseldorf zu sehen. Es gibt ein umfangreiches Begleitprogramm.
Der umfassende Katalog zur Ausstellung ist im Kerber Verlag erschienen und kostet 40,00 EUR ( 408 Seiten, mit Farbbildungen aller ausgestellten Werke).