KUNSTHALLE Düsseldorf
Thomas Ruff – “Lichten“
20. September 2014 – 11. Januar 2015
Die Kunsthalle Düsseldorf präsentiert eine Ausstellung mit Arbeiten des deutschen Fotografen Thomas Ruff (* 1958 in Zell am Harmersbach), der zu den zentralen Figuren der Düsseldorfer Fotoschule zählt. „Lichten“ vereint Arbeiten der vergangenen 35 Jahre aus fünf Werkgruppen des Künstlers, die von den späten 1970er Jahren bis heute, von semidokumentarischen Ansätzen bis zu postdigitalen Strategien und vom Umgang mit natürlichem bis zu virtuellem Licht reichen.
Im Mittelpunkt der Ausstellung stehen zwei neuere Werkgruppen Ruffs: „ phg “ (Fotogramme, ab 2012), eine virtuelle Simulation des klassischen Genres des Fotogramms, sowie „ Negative “ (ab 2014), in denen Ruff auf die Ursprünge der Fotografie im 19. Jahrhundert zurückgreift. Daneben werden Arbeiten aus den Serien „ Sterne “ (1989-1992), „ Nächte “ (1992-1996) sowie aus Ruffs frühester Serie „ Interieurs “ (1979-1983) zu sehen sein. Technische Überlegungen, übersetzt in Aufnahmen nächtlicher Sternenhimmel, Infrarotaufnahmen von Stadträndern und häusliche Stillleben, liefern eine politische und gesellschaftliche Sichtweise auf die Funktion von Bildern. In ihrer historischen Spannweite überschreitet diese Ausstellung angesichts der scheinbar unbegrenzten Möglichkeiten zeitgenössischer Bildproduktion die Grenzen der analogen Fotografie.
Statt unsere alltägliche Wirklichkeit zu fotografieren, konzentriert sich Ruff auf das Abbilden der fotografischen Wirklichkeit. Seine Arbeitsweise basiert auf der Methode sogenannter „Forscher-Künstler “. In jeder seiner Serien nutzt Ruff das Medium Fotografie als Instrument einer systematischen Analyse, mit deren Hilfe gesellschaftliche, politische und ästhetische Aspekte der Bildproduktion und damit auch die Geschichte der Moderne untersucht werden. Die längst nicht endgültig geklärte Frage nach dem Wesen des Lichts wird im Sinne eines Leitmotivs der Ausstellung konkretisiert. In jeder Serie übernimmt das Licht eine andere Aufgabe im Hinblick auf die dezent-dokumentarische Beleuchtung heimischer Wohnkultur im Deutschland der Nachkriegszeit (Interieurs) , das Verhältnis von Raum und Zeit ( Sterne) beziehungsweise künstlich geschaffene Artefakte (Fotogramme) .
Eine von Ruffs „phg“-Serien wurde in Kooperation mit dem Forschungszentrum Jülich in Nordrhein-Westfalen produziert. Da die Superrechner des Instituts bei dieser Aufgabe an ihre Leistungsgrenzen stießen, lassen sich Ruffs Arbeiten auch als indirekte Technikporträts deuten. Darüber hinaus steht diese Kooperation zwischen einem Künstler, einem Museum und einer Forschungsanstalt für ein neues Modell des Zusammenwirkens von Kunst und Wissenschaft.
Zur Ausstellung
Den Schwerpunkt der Ausstellung bildet eine neue „phg“-Serie (2012 bis heute). Diese Werkgruppe stellt eine radikale Erweiterung seines Werks dar, denn zum ersten Mal widmet sich Ruff hier der Simulation eines historischen fotografischen Genres samt der mit ihm verbundenen ästhetischen und kulturellen Konnotationen: der „kameralosen“ Technik des Fotogramms, das gemeinhin mit den 1920er Jahren und dem damals herrschenden Fortschrittsgeist assoziiert wird. Seine historischen Vorgänger, etwa Man Ray und László Moholy-Nagy, legten damals unterschiedliche Objekte direkt auf lichtempfindliches Fotopapier, wodurch dieses belichtet wurde an den Stellen, an denen die Objekte das Papier berührten, weiße beziehungsweise graue Silhouetten entstanden. Derartige Fotogramme wiesen unvorhergesehene Lichteffekte auf und bildeten im fertigen Fotoabzug auch das Element des Zufalls ab. Dieses Verfahren barg die revolutionäre, ja surreale Verheißung einer (verglichen mit einer mittels einer Kamera aufgenommenen Fotografie) unmittelbareren Wiedergabe von Licht – einschließlich der Aussicht darauf, den „Geist in der Maschine“ einzufangen. In seinen ersten Fotogrammen zitiert Ruff in unmittelbarer Weise einige seiner historischen Vorläufer; beispielsweise verweist die Arbeit „r.phg.05_I“ (2013) auf die „Photogenics“-Serie (1946–1955) der Fotografin Lotte Jacobi. Dies deutet nicht nur auf Ruffs Respekt gegenüber seinen Vorgängern hin, sondern auch auf seine Absicht, die neue Serie innerhalb einer umfangreicheren Tradition des Fotogramms zu verorten – möglicherweise auch deshalb, weil beide unter technischen Gesichtspunkten nichts miteinander verbindet. Ruffs virtuelle Interpretation klassischer Fotogramme suggeriert eine gleichermaßen radikale Methode der Lichtsimulation auf Grundlage optischer Berechnungen. Einfache Objekte wie Linsen, Stäbe, Spiralen, Papierstreifen oder Kugeln werden dreidimensional gerendert und in einer virtuellen Dunkelkammer auf beziehungsweise über (ebenfalls virtuelles) digitales Fotopapier platziert. Anschließend kommt zur Belichtung der jeweiligen Objekte anstatt natürlichem Licht programmiertes Licht zum Einsatz. Die hierzu notwendigen immensen Datenmengen bewirken, dass sich der Prozess des Renderns vom Künstler kaum noch steuern lässt, so dass die resultierenden Fotoarbeiten in einigen Bereichen Zufallseffekte wie visuelles Rauschen, Körnigkeiten oder Unschärfen aufweisen – visuelle lPhänomene, die eng mit dem analogen Bild assoziiert werden und sich in dieser neuen virtuellen Umgebung als Beschränkungen eines ausschließlich digitalen Prozesses offenbaren. Zudem manipuliert Ruff das Bild, indem er beispielsweise mit verschiedenen Lichtverhältnissen, Transparenz, Solarisation und computergenerierten Oberflächen (Papier, Glas, Chrom) und Farbe experimentiert, was bei traditionellen Fotogrammen nicht möglich war. Indem Ruff bei der Simulation eines historischen fotografischen Genres die bisherigen Grenzen des technisch Machbaren sprengt, iefert er einen Kommentar zum einstigen Aufkommen und heutigen Niedergang moderner Utopien und den damit verbundenen Vorstellungen hinsichtlich eines unbegrenzten Fortschritts. In gleicher Weise verweist Ruff damit auf unsere heutige Instagram-Ästhetik, jene ständige Erzeugung einer sofortigen Patina für die unmittelbare Vergangenheit.
Interieurs
Thomas Ruffs früheste Serie, „Interieurs“ (1979-1983), zeigt auf die denkbar einfachste und distanzierteste Art einen einzelnen Ausschnitt eines Raumes. Der natürliche Lichteinfall ist indirekt – Fenster erscheinen in einem Spiegel oder lassen sich hinter geschlossenen Vorhängen erahnen. Das Licht wirkt wie durch die Linse einer Camera obscura gesehen und erhellt mittels ausgeprägter psychologischer Konnotationen im Nachkriegsdeutschland gültige Lebensentwürfe und Vorstellungen von Gemütlichkeit. Daneben liegt ein besonderer Fokus auf den glatten, zweidimensionalen Oberflächen wie Tapeten, Teppichen und Spiegeln, womit wiederum jene Funktion der Fotografie hervorgehoben wird, die darin besteht, eine Wirklichkeit zweiter Ordnung – nämlich die Wirklichkeit hinter der Kamera – wiederzugeben. Durch den Einsatz von Farbe in der Fotokunst anstelle der zur Entstehungszeit der Serie gebräuchlichen Schwarzweißtechnik distanziert sich Ruff in derselben Weise von seinen Lehrern und den Dogmen der dokumentarischen Fotografie wie beispielsweise die Amerikaner William Eggleston und Stephen Shore.
Nächte
Mit der Präsentation einer weiteren zentralen Serie mit dem Titel „Nächte“ (1992-1996) streift die vorliegende Ausstellung die aktuelle politische Debatte rund um das Thema Überwachungstechnologie. Die hier versammelten Fotos wurden bei Nacht mit Hilfe einer Kamera mit Restlichtverstärker aufgenommen und zeigen nächtliche Vorortszenarien. Für diese Arbeiten nutzte Ruff das virtuelle Vokabular mit hoher Brennweite aufgenommener Nachtsicht-Überwachungsfotos, wobei der Restlichtverstärker jenes für die Serie charakteristische grüne Leuchten erzeugt. Dieses Verfahren fand insbesondere während des Zweiten Golfkriegs als Mittel der Zielerkennung Verwendung. Mit Hilfe vergleichbarer Nachtsichtgeräte, welche die vorhandenen Lichtelektronen verstärken, vermag das menschliche Auge auch Objekte in völliger Dunkelheit auszumachen. Die Aufnahmen offenbaren somit, was dem Auge unter normalen Umständen verborgen bliebe. Ruff schildert urbane Räume, deren Wesen sich aufgrund einer unmittelbar nach dem Golfkrieg entwickelten Bildsprache ins Gegenteil umkehrt: Die (scheinbare) Normalität wird zum mutmaßlichen Schauplatz des Grauens. Die „Nächte“-Serie entstand Mitte der 1990er Jahre, also kurz vor dem Siegeszug des Internets, das in der Folgezeit völlig neue Formen medialer Überwachung ermöglichen sollte. „Nächte“ war die letzte Serie Ruffs, für die er natürliches Licht nutzte, bevor er sich ganz der digitalen Bildbearbeitung widmete und seinen Platz hinter der Kamera zeitweilig verließ.
Sterne
In der „Sterne“-Werkgruppe (1989-1992) trifft Ruffs Interesse für Astronomie auf seine Vorliebe für Archive beziehungsweise das künstlerische Verfahren der Appropriation – die Wiederverwendung bereits bestehenden Bildmaterials. Seine Aufnahmen nächtlicher Sternenhimmel basieren auf mit einem Spezial-Teleskopobjektiv aufgenommenen Archivfotos, die Ruff vom European Southern Observatory in Chile erwarb. Aus den 29 x 29 cm großen Negativen wählte er anschließend nach einem von ihm selbst entwickelten Klassifizierungssystem bestimmte Bildausschnitte aus, vergrößerte diese auf ein festgelegtes Format und verwendete die entsprechenden Sternkoordinaten als Bildtitel. In den Sternenbildern kommt es zur Verbindung eines vorgeblich wissenschaftlich-objektiven Verfahrens und einer ästhetisch-subjektiven Vorgehensweise. Die Sterne befinden sich entweder im Vorder- oder Hintergrund, oder der Fokus liegt auf interstellaren Objekten beziehungsweise auf der Milchstraße. Es ist offensichtlich, worum es sich bei den weißen Punkten auf schwarzem Grund handelt, doch was auf diesen Bildern tatsächlich zu sehen ist, ist lediglich das Licht von Sternen, von denen einige vermutlich längst erloschen sind – wenn auch ihr Licht zum Zeitpunkt der Aufnahme auf das Objektiv der Kamera traf. Im Grunde genommen bilden diese Arbeiten Licht und Zeit, d. h. die Grundlagen der Fotografie, ab. Somit führt Ruff die Strategie der künstlerischen Aneignung existierender Bilder, wie wir sie von Künstlern wie Marcel Duchamp, Sherrie Levine and Andy Warhol kennen, auf einen medialen Nullpunkt zurück.
Negative
In einer weiteren Fotoserie mit dem Titel „Negative“ (ab 2014) greift Ruff schließlich auf die historischen Ursprünge des Mediums Fotografie zurück. Ähnlich wie in seinen Fotogrammen nutzt Ruff diese Technik zur Transformation bereits bestehender Arbeiten, in dem er mit Hilfe von Licht Schatten erzeugt, wobei er hier als Ausgangsmaterial sepiafarbene Fotografien, insbesondere aus der Zeit Mitte/Ende des 19. Jahrhunderts verwendet. Am Computer invertiert Ruff die Farben dieser Fotografien, was ihnen das Aussehen von „Cyanotypien“ verleiht, einem im Englischen auch unter der Bezeichnung „Blueprint“ bekannten fotografischen Verfahren, das in der Hauptsache für wissenschaftliche Zwecke eingesetzt wurde. Die Cyanotypie entstand als Antwort auf die Daguerrotypie und die Talbotypie in einer Phase, als das Reproduktionsverfahren der Fotografie auch außerhalb der Bildenden Kunst seinen Siegeszug antrat: damals erreichte die Zirkulation von Bildern, die neue Einblicke nicht nur in die eigene Wirklichkeit, sondern auch in die Wirklichkeit „des Anderen“ erlaubten, ungeahnte Ausmaße, was Schnelligkeit und Verbreitung betraf. Die Blaufärbung sämtlicher Motive lässt sich auch als Kommentar im Hinblick darauf lesen, dass das damals neue Medium Fotografie letztlich zu einer Nivellierung der Wahrnehmung von Wirklichkeit führte. Ruff präsentiert durch seine Motivwahl verschiedene Gebiete, auf denen sich die Fotografie als effizient erwies: die repräsentative Fotografie der Kolonialzeit sowie die Bereiche Kunst und Kunstgeschichte. In fotografischen Darstellungen von Malerateliers aus der Mitte des 19. Jahrhunderts geht Ruff noch einen Schritt weiter, indem er Veränderungen bezüglich der Rolle des Künstlers und der Bedeutung des Medium seit jener Zeit hinterfragt: Nach Einführung der Fotografie wurde die Malerei nunmehr als etwas wahrgenommen, das man „ansieht“, nicht mehr als ein Rahmen, durch den man „hindurchsieht“.
Über Thomas Ruff
Thomas Ruff lebt und arbeitet in Düsseldorf. Sein Werk war in zahlreichen Einzelausstellungen führender internationaler Institutionen zu sehen, zuletzt im Haus der Kunst in München, das 2012 eine umfangreiche Gesamtschau des Künstlers zeigte. Seine jüngsten Einzelausstellungen fanden beispielsweise im LWL-Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte, Münster, im spanischen Centro de Arte Contemporáneo de Málaga (beide 2011), im Castello di Rivoli, Turin, im Museum für Neue Kunst, Freiburg, in der Kunsthalle Wien (alle 2009), in der Műcsarnok Kunsthalle, Budapest (2008), im Stockholmer Moderna Museet sowie im Sprengel Museum in Hannover statt (beide 2007). Thomas Ruffs Arbeiten sind unter anderem in den ständigen Sammlungen folgender internationaler Museen vertreten: Art Institute of Chicago, Dallas Museum of Art, Essl Museum in Klosterneuburg bei Wien, Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart, Berlin, Hirshhorn Museum and Sculpture Garden, Washington, D.C., Metropolitan Museum of Art, New York, Moderna Museet, Stockholm, National Gallery of Victoria, Melbourne, Nationalmuseum für Fotografie, Kopenhagen, Solomon R. Guggenheim Museum, New York, Stedelijk Museum voor Actuele Kunst (S.M.A.K.), Gent.
Ruff zählt zu den Hauptvertretern der Düsseldorfer Fotoschule, die heute als Synonym künstlerischer Innovation gilt. Sie entstand Mitte der 1970er Jahre an der Düsseldorfer Kunstakademie unter Leitung von Bernd und Hilla Becher, die mit ihren vergleichenden Fotoserien von Industriebauwerken bekannt wurden. Obgleich die Ursprünge von Ruffs Werk im objektiven, ja geradezu klinisch-distanzierten fotografischen Ansatz jener Schule liegen – einschließlich der Generierung typologischer Gruppen –, würdigt er durchaus die dem Medium Fotografie inhärente Subjektivität. Ruff ist insbesondere für seine inszenierten, generischen Porträtserien bekannt – für die er erste kritische Anerkennung erntete – und hat daneben ein breites Spektrum an Themen und Techniken erforscht, die von analogen und digitalen Fotos sowie computergenerierten Bildwelten bis hin zu Bildmaterial wissenschaftlich er Sammlungen und Abbildungen aus Zeitungen, Zeitschriften und dem Internet reichen, die er nachträglich manipuliert. Statt den Fokus allerdings auf visuelle fotografische Gewissheiten zu legen, beschäftigt sich Ruff, um Douglas Fogle zu zitieren, mit „der Schattenwelt der dunklen Materie der Fotografie, wo das Aufeinanderprallen von Objektivität und Subjektivität eine komplexe Explosion fotografischen Ausdrucks erzeugt“.
Zur Ausstellung legt Thomas Ruff exklusiv eine Edition vor, deren Verkaufserlös der Kunsthalle Düsseldorf zu Gute kommt. Motiv und Preis werden im September bekannt gegeben.
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Hinweis: Zu dieser Ausstellung haben wir auch eine Rezension von Marianne Hoffmann veröffentlicht. Bitte lesen Sie hier.