Titus Lerner – Menschenbilder
Der Maler und Bildhauer Titus Lerner, Jahrgang 1954, widmet sich seit 1979 ausschließlich der Darstellung des Menschen und beharrt auf der Auseinandersetzung mit dem menschlichen Körper als Projektionsfläche seelischer wie geistiger Welten. Seine Figuren sind keine naturalistischen Abbilder. Sie sind archetypisch, überindividuell und vermitteln konzentriert den essentiellen Ausdruck unseres Daseins. Seine Menschenbilder zeigen Befindlichkeiten, die allgemeingültig sind und ein hohes Maß an Identifikation liefern. Mit großer Intensität lotet er die Widersprüchlichkeit menschlichen Lebens aus.
Der Hintergrund seiner Gemälde erscheint meist abstrakt, liegt oft im Dunkel, wobei die Gesichter und Figuren aus der Farbmaterie herauszuwachsen scheinen. Risse, Brüche und Unregelmäßigkeiten der Oberflächen sind gewollt und betonen Körperlichkeit und Fleischlichkeit, zeugen vom Leben selbst und assoziieren die Verletzlichkeit der Figuren, die nackt und kahlköpfig erscheinen: Nichts lenkt vom Menschsein ab.
Der Betrachter rückt unmittelbar ins Geschehen und wird unausweichlich Teilhaber am Bildganzen. Er wird aufgesogen von den Farben, die ihn als erstes in den Bann schlagen. Der dynamische Pinselduktus macht Strömungen und Kraftlinien sichtbar, die starken Farben steigern die Expressivität. Die Bilder entstehen in mehreren Schichten übereinander in verschwenderischem Einsatz von Farbe, oft in ganzflächigen Komplettübermalungen die den ursprünglichen Entwurf löschen und verwischen, um ihn dann neu entstehen zu lassen.
Es werden Grenzsituationen der physischen Existenz erfahrbar, die Titus Lerner in den Werkgruppen Ikarus, Sisyphus, Mänaden, Häutungen, wohin mit den Göttern, Köpfe und Maskenträger metaphysisch überhöht und darin ein Kosmos von Gefühlsqualitäten zum Ausdruck bringt: Empfindsamkeit bis hin zu Schmerz und Verletzlichkeit, andererseits die Aura von Würde und Distanz, von Ruhe und Meditation, von Besinnung und Sinnsuche. Titus Lerner lotet die in allen Facetten gelebte Herausforderung des Lebens und die Ambivalenz der Möglichkeiten zwischen Existenz und Untergang stets aufs Neue aus.
Das Drama menschlicher Selbsterhebung wird auch in Lerners Plastiken physiognomisch erfahrbar: polare psychische Konstellationen des Leidens und Begehrens, der Verzweiflung und der Gelassenheit, oder als changierende Maskenhaftigkeit, in der sich Identität und Auflösung ununterscheidbar durchdringen.
Das Potential der Arbeiten Titus Lerners ist die eigentümliche Zerrissenheit, die zwischen den Extremen des Seins schwanken: Gezeichnet von tiefster Furcht, Unterdrückung und Schmerz, bis hin zu einer kaum noch erklärbaren Kraft und einem Mut, die allein vom Glauben an eine bessere Existenz getrieben zu sein scheinen. Die Bilder sind immer gekennzeichnet von einer Ambivalenz, der Bereitschaft zur Ratlosigkeit, zum Irrtum und Zweifel. Ein einfaches Begreifen und Erschließen der Figuren ist nicht möglich, sie entziehen sich einer letzten Deutung.