Tomás Saraceno – in orbit
K21 STÄNDEHAUS
Eröffnung: 21. Juni 2013, 19.00 Uhr
Laufzeit: 22. Juni bis voraussichtlich Herbst 2014
Aktueller Hinweis (20.12.23): Die Installation „in orbit“ von Tomás Saraceno muss ab sofort aus technischen Gründen geschlossen bleiben.
Eine riesige Rauminstallation mit dem Titel „in orbit“ des Künstlers Tomás Saraceno ist in der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen entstanden. In mehr als 20 Metern Höhe über der Piazza von K21 Ständehaus spannte Saraceno eine Konstruktion aus Netzen, in denen sich die Besucher scheinbar schwerelos bewegen können. Die insgesamt 2.500 Quadratmeter hochmoderner Sicherheitsnetze breiten sich in drei Ebenen unter der gewaltigen Glas- kuppel des K21 aus. Sie werden von einer Reihe „Sphären“, luftgefüllten PVC-Kugeln von bis zu 8,50 Metern Durchmesser, auf Abstand gehalten.
„Das Werk zu beschreiben bedeutet die Menschen zu beschreiben, die es benutzen – und deren Gefühle“, erklärt Tomás Saraceno zu seiner in den vergangenen drei Jahren mit Ingenieuren, Architekten und Spinnen-Spezialisten geplanten bisher größten Installation. Saracenos auf drei verschiedenen Schichten begehbare Netzkonstruktion erscheint wie eine wolkenartige Landschaft: Die Mutigen, die die Installation betreten, nehmen aus luftiger Höhe die Museumsbesucher in der Tiefe wie eine winzige „Modellwelt“ wahr. Von unten, aus den Zwischengeschossen des Ständehauses und vor dem Hintergrund der Glaskuppel erschei- nen die Menschen wie „Schwimmer“ am Himmel. Der Raum in der Schwebe wird für den Künst- ler zu einem schwingenden Netz von Beziehungen, Nervenbahnen, Resonanzen und synchroner Kommunikation – eine neue digitale Geographie, die physisch erlebbar wird.
Die unterschiedlichen Materialien unterstreichen Saracenos grundlegende Ideen des Fließens und der Leichtigkeit: “Wenn ich diese vielschichtigen Ebenen von durchschei-nenden Linien und Sphären betrachte, werde ich an Modelle des Universums erinnert, die Schwerkraft und planetarische Körper darstellen. Die Arbeit visualisiert für mich das Raum-Zeit-Kontinuum, ein dreidimensionales Netz einer Spinne, die Verzweigungen von Materie im Gehirn, die Dunkle Materie oder die Strukturen des Universums. „in orbit“ setzt Proportionen in neue Beziehungen; menschliche Körper werden Planeten, Moleküle oder soziale schwarze Löcher.”
„in orbit” ist eine der leichtesten Installationen, die der Künstler realisiert hat: Assoziationen an die Feinheit und gleichzeitige Stabilität von Spinnennetzen und Seifenblasen stellen sich ein, auch wenn die Netzkonstruktion allein 3.000 Kilo und die größte der „Sphären“ 300 Kilo wiegt. Die Verbindung von Funktionalität, Schönheit und Stärke, die Saraceno bei seinen langjährigen Beobachtungen des Netzbaus unterschied-licher Spinnenarten studiert hat, findet sich auch in den Details von „in orbit“.
Die genaue Beobachtung der Natur und die gedankliche Weiterentwicklung dieser Phänomene gehören zu den festen Kennzeichen im Werk des Künstlers, das die Grenzen von Kunst und Wissenschaft auflöst. Der Raum wird durch Vibration wahrgenommen, wie Spinnen sie spüren. So entsteht eine neue hybride Form der Kommunikation. Saraceno: „Jeder einzelne Strang wird die Besucher nicht nur halten, sondern sie zusammenweben, gemeinsam agieren lassen. Es ist wie ein gestrecktes Netz auf offener Wiese. Eine offene kosmisch gewebte Struktur, die sich verdichtet, verzweigt und an ihren Rändern wieder in Linien mündet. Das Netz ist einzigartig in seiner Beziehung mit der vorhandenen Architektur.“
„Mit seinen wagemutigen, grenzüberschreitenden Projekten beschreibt Saraceno nicht nur mittels Kunst, was die Wissenschaft herausgefunden hat, er treibt sogar die Wissenschaft voran“, erklärt Kunstsammlungs-Direktorin Marion Ackermann. Nicht zuletzt dank Saracenos Initiative sei es möglich, „mit der Erforschung der Strukturen von Spinnennetzen Analo- gien zur Entstehung des Universums herzustellen.“ In einem von Saraceno im K21 einge-richteten Künstlerraum weben lebende Spinnen ihre Netze und geben auf diese Weise einen Einblick in den naturwissenschaftlichen Hintergrund der Tätigkeit des Künstlers.
In den Dimensionen und der Radikalität ist „in orbit“ ohne Vorbild im Werk Saracenos, beschreibt Ausstellungskuratorin Susanne Meyer-Büser die präzise für die Kuppel entwickelte Großinstallation: „Selten bezieht ein Kunstwerk den Betrachter emotional so unmittelbar mit ein.“ Auch wer das Netz über dem Abgrund nicht betreten mag und die Installation nur betrachtet, „wird sich mehr oder weniger mit dem Themenkomplex `Fliegen, Fallen, Schweben` und seinen archetypischen Ängsten und auch Freuden beschäf-tigen“. Mit seiner Düsseldorfer Arbeit zielt Saraceno, der Kunst und Architektur stu- diert hat, zudem auf die unmittelbaren individuellen wie kollektiven Erfahrungen der Menschen: Wer sich in den Netzen hoch über dem Boden bewegt, wird eine neue Dimension der (Selbst)Wahrnehmung als persönlich prägendes Erlebnis mitnehmen. Ein unübersehbarer sozialer Aspekt tritt hinzu: Die kühne Konstruktion gerät durch mehrere Benutzer in Bewegung, die Spannung und die äußere Form der Installation verändert sich – die Menschen müssen ihre Aktivitäten miteinander koordinieren, um sich im Netz optimal bewegen zu können.
Oft hat der Künstler-Architekt seine Schöpfungen mit lebenden Organismen verglichen. Die Veränderung des Umfelds stößt Gedankenprozesse an; ihn interessiere, „wie neue Räume und Menschen neue Ideen generieren“, sagt Saraceno.
Mit dieser bislang größten und technisch komplexesten Arbeit schließt der 39-Jährige nicht nur an die Cloud Cities im Hamburger Bahnhof in Berlin und seine Arbeit auf dem Dach des Metropolitan Museums in New York an. Vielmehr ist die Düsseldorfer Groß-Instal-lation für ihn auch ein neuer wichtiger Schritt zur Verwirklichung seines sozialuto-pischen Projektes der Air-Port-City, einer schwebenden Stadt.
In der Nachfolge von Jules Verne und des amerikanischen Architektur-Visionärs Richard Buckminster Fuller sieht Saraceno in seiner Wolkenstadt eine sensible Antwort auf die Hoffnung, einen gemeinsamen utopischen Traum zu entwickeln. Es gilt, physische und digitale Realitäten zu verbinden, um eine neue soziale und politische Beteiligung zu erzielen. Diese leitet für den Künstler Antworten ein auf die zunehmende Unbewohnbarkeit der Erde, auf dramatisches Bevölkerungswachstum und wachsende Ökologieprobleme. Zu ihrer eigenen Sicherheit werden die Besucher von „in orbit“ von Mitarbeitern der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen in die Benutzung der Installation eingewiesen. So dürfen sich nicht mehr als 10 Personen gleichzeitig in den Netzen aufhalten. Feste Schuhe (Profilsohlen), die Benutzung eines bereit gestellten Overalls und ein Mindestalter von 12 Jahren sind die Voraussetzung zur aktiven Nutzung von „in orbit“.
Anläßlich dieses Installationsprojektes fand am 6. Nov 2013 ein Künstlergespräch im K21 statt. Lesen Sie hier unseren Artikel darüber: Saraceno im K21.
Das Video der KUNSTSAMMLUNG NRW zum „Making Of“ von „orbit“
K21 STÄNDEHAUS
Ständehausstraße 1
40217 Düsseldorf
www.kunstsammlung.de
„Das Netz“ zu erfahren ist ein Erlebnis.